Limbo hat es als eines der ersten Spiele vorgemacht – und das ziemlich beeindruckend in schwarz und weiß. Darauf folgte Journey, welches mit seinem melancholischen Grundtenor in Eintracht mit einer unvergleichlichen Atmosphäre das Herz berührte. Beide sind Indie-Vorzeigetitel, beide sind großartige Videospiele. Und beide sind künstlerisch gehaltvoll. Irgendwo dazwischen befindet sich Brothers: A Tale of Two Sons. Und es ist wie seine eben genannten Konkurrenten atmosphärisch, melancholisch, schlicht einzigartig.

Brothers: A Tale of Two Sons ist viel mehr als nur irgendein weiteres, kleines Spiel aus der boomenden Indie-Szene. Es unterscheidet sich von vielen seiner Mitbuhler und hebt sich auch von seinen unmittelbaren Leitbildern, wie beispielsweise ICO oder eben Journey, ab. Das zeigt sich bereits in Sachen Gameplay: ein sogenanntes Twin-Stick-Adventure. Das heißt simultanes Gameplay und simultane Steuerung der namensgebenden Gebrüder, die sich auf eine gemeinsame Reise machen, um das Heilmittel mit dem alles sagenden Namen „Wasser des Lebens“ für den erkranken Vater zu beschaffen. Anfangs scheint diese Art von Spielmechanik noch recht ungewöhnlich, denn immerhin sind beide Charakter immerfort gleichzeitig zu steuern. Doch schon nach kurzer Zeit – wenn die Steuerung in Fleisch und Blut übergeht – stellt sie sich als eine innovative und vor allem den zahlreichen Geschicklichkeits-, Rätsel- und Kletterpassagen zuträgliche Komponente der Spielmechanik, die sehr auf Koordination bedacht ist, heraus.

„Das Spiel hat Herz. Das bleibt beim Spielen nicht unbemerkbar – vom Anfang bis zum Ende der Geschichte.“

Dabei entführt das Spiel vom schwedischen Regisseur Josef Fares und seinem Team von Starbreeze Studios in eine märchenhafte, liebevolle Welt voller hybridartiger Fabelwesen und einzigartiger Bewohner. Doch bereits nach kurzer Zeit wandelt sich das Zauberhafte in etwas sehr bedrückendes, ja recht düsteres. Da sind Parallelen zu den alten, originalen Märchen der Gebrüder Grimm, welche nie ihre oftmals schauderhaften sowie horrenden Geschichten irgendeine kindgerechtere Zensur auferlegten, nicht von der Hand zu weisen. Und so beinhaltet auch Brothers, bei all seinen träumerischen Kulissen und der märchenhaften Fassade, erwachsene, tiefgründige Themen wie Tod und Verlust, Hoffnung und Zusammenhalt. Aus der ganzen Sache ist am Ende durchaus eine Lehre zu ziehen.

In diesem Zusammenhang wissen auch die Kulissen und Umgebungen des Spiels zu jeder Zeit der vierstündigen Reise visuell in seiner künstlerischen Anmut zu begeistern. Und das tun sie nicht unbedingt durch eine illustre Grafikpracht, sondern vor allem durch das hervorragende sowie abwechslungsreiche Art- und Level-Design. Starten die zwei ungleichen Brüder – der eine blond und verspielt, der andere brünett und vernünftig – noch anfangs in ihrem verträumten, nordisch wirkenden Heimatdorf, führt sie ihr Auftrag alsbald weit weg vom lieblichen Dorfidyll. Da geht es kletternd mitten durch eine unheimlichen Mine voller unergründlichen Abgründe; dort mit Hilfe einer bloßen Fackel durch einen gefährlich-dunklen Wald, gar über ein historisches Schlachtfeld und dessen Überreste; und dann wiederum mit einem wackeligen Boot durch frostige Ländereien.

Die Lichteffekte sind hierbei besonders beeindruckend und von den Designern wohl mit akribischer Präzision in Szene gesetzt, was dem künstlerischen Grafikstil einen gewissen Glanz verpasst. So bleibt der berüchtigte „Wow“-Effekt niemals aus – denn stets gibt es etwas optisch beeindruckendes und spannendes zu sehen, aber auch zu tun. Denn die Welt von Brothers: A Tale of Two Sons trieft vor Interaktivität. Zwar geht es mit den zwei Brüdern sehr linear durch die fantastische Welt, dennoch nicht ohne durchgehende Interaktionsmöglichkeiten am Wegesrand. Die Reaktion der beiden Söhne auf ihre Umgebung fällt dabei recht differierend aus: Wo der Ältere – in seiner Verantwortung als großer Bruder – einem Unbekannten eher misstrauisch begegnet, ist der jüngere Bruder aufgeschlossen und albert gern mit den gelegentlich anzutreffenden NPCs herum.

Der Soundtrack bleibt nicht außen vor. Ganz im Gegenteil: Nuanciert und taktvoll untermalt der Score das Spiel mal mit Chorgesängen, mal mit Streicherarrangements und gar mit einfachen Akustikgitarren. So fügen sich die Musikstücke, die ein immer wiederkehrendes Thema erkennen lassen, mitunter perfekt in das optische Design ein – zusammen verschmelzen sie zu etwas ganz Besonderem.

Doch all diese wunderbaren Details könnte man auch wegwerfen, denn sie bedeuten an sich nichts. Denn der Kern des Spiels, sein wahrer Zauber liegt woanders. Etwa bei den zwei Brüdern selbst und dem damit einhergehenden narrativen Experiment, an welches sich Game Director Josef Fares mit Brothers wagt. Wie dieser ja in zahlreichen Interviews immer wieder beteuerte, liegt beim Spiel der Fokus eindeutig auf der emotionalen Geschichte, die sich hinter den ganzen Kletterrätseln und Hüpferein befindet. Dazu muss noch kurz erwähnt werden, dass das komplette Spiel – bewusst – ohne eine verständliche Sprachausgabe auskommt. Fantasysprache soll hier genügen. Und tatsächlich: Obwohl sich die zwei Söhne nur mit erfunden Lauten verständigen, ist immer eine emotionale Tiefe in den Konversationen zu erkennen.

Was dieses kleine Spiel so groß macht, ist eben die Leidenschaft mit der es eine eigentlich recht konventionelle, gar simple Geschichte erzählen möchte. Im Grunde geht es um nichts anderes als um zwei Brüder, die von A nach B und wieder von B nach A rennen sollen, um ihrem geliebten Papa zu helfen. An sich nichts neues, auf dem Papier fast schon langweilig. Hinter dieser Fassade an gewöhnlichem Storytelling verbirgt sich jedoch etwas viel tiefgründigeres, in der heutigen Gesellschaft vielleicht etwas sehr vernachlässigtes: Etwa familiäre und insbesondere brüderliche Liebe. Wie gehe ich mit dem Tod eines Familienmitglieds um? Wie schaffen wir es auch in schwersten Zeiten durch den unnachgiebigen, peitschenden Sturm zu wandern und zusammenzuhalten? Können wir uns immer aufeinander verlassen? Das sind nur drei unter vielen Fragen, die Brothers: A Tale of Two Sons in irgendeiner Weise einem Diskurs unterzieht. Genauso wie anderweitige, wichtige Themen wie Selbstüberwindung und Akzeptanz. Doch es sei nicht zu viel verraten. Wichtiger ist: Das Spiel hat Herz. Das bleibt beim Spielen nicht unbemerkbar – vom Anfang bis zum Ende der Geschichte.

 

 

Ich mache es kurz: Ich liebe Brothers. Denn ähnlich wie Journey regte es beim Durchspielen gewisse Gefühle in mir – und Gefühle bestimmen nun mal auch den Spielspaß. Doch es brachte mich auch zum Nachdenken, zum tiefgründigen Reflektieren. Insbesondere über die Beziehung der zwei Söhne, das Ende und die Geschichte an sich. Weniger über das Gameplay, welches trotz einiger Bugs und technischen Ungereimtheiten so innovativ wie fantastisch gestaltet wurde (die Twin-Stick-Mechanik ist wahrlich neuartig und verlangt ein gewisses Koordinationsvermögen ab). Doch die Gefühle, welche das Spiel transportiert, sind einzigartig. Das alles ist spannend, emotional und melancholisch zugleich. Und was das kleine Indie-Game Brothers: A Tale of Two Sons letztendlich zu einem ganz großen Spiel macht, ist seine Leidenschaft eine tolle Geschichte mit minimalistischen Mitteln erzählen zu wollen. Das ist wahrlich fantastisch!


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Autor: Matthias Kraut

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